Ein Gutachtergespräch aufnehmen?
Ich habe einen Antrag auf IV-Rente gestellt und wurde zu einem Gespräch für ein Gutachten geladen. Ich habe gehört, dass man das Gespräch aufnehmen kann, und möchte wissen, was es dabei zu beachten gilt.
Die Frage der Qualität von Gutachten wurde in letzter Zeit häufiger in den Medien behandelt und wird auch im Rahmen der laufenden Revision des Gesetzes über die Invalidenversicherung diskutiert.
Derzeit wird das Gespräch für ein Gutachten in Anwesenheit der betroffenen Person und des Gutachters/der Gutachterin durchgeführt, der oder die anschliessend einen Bericht für die Versicherung verfasst, die ihn oder sie beauftragt hat. Damit soll sichergestellt werden, dass in diesem Gutachten tatsächlich nur das steht, was der/die Gutachter/in auch hineinschreiben will. Da die meisten Gutachterinnen und Gutachter ordnungsgemäss arbeiten, stellt dies in der Regel kein Problem dar. Es kann aber auch vorkommen, dass die Gutachterin oder der Gutachter nicht sorgfältig genug arbeitet. Sei es, dass nicht alle Aussagen notiert oder falsch verstanden wurden oder dass die Person sich nicht ausreichend Zeit genommen hat, ein vollständiges und fundiertes Gutachten zu erstellen. Wenn die betroffene Person mit dem, was in einem Gutachten steht, nicht einverstanden ist, wird es jedoch schwierig für sie, sich zu verteidigen, denn weil es keine Zeugen für das Gespräch gibt, steht in diesem Fall Aussage gegen Aussage.
In einer solchen Situation könnte eine Aufnahme tatsächlich eine objektivere Sichtweise bieten.
Allerdings ist das Aufnehmen eines Privatgesprächs ohne Zustimmung der daran Beteiligten nach dem Strafgesetzbuch strafbar. Das bedeutet, dass Sie nicht das Recht haben, das Gespräch ohne die Zustimmung der Gutachterin oder des Gutachters aufzuzeichnen. Tun Sie es trotzdem, machen sie sich strafbar. Um ein rechtswidriges Verhalten zu vermeiden, rate ich Ihnen, vor Gesprächsbeginn bei der Gutachterin oder beim Gutachter eine Einwilligung zur Aufzeichnung einzuholen.
Stellen wir uns nun vor, Sie zeichnen das Gespräch mit der Gutachterin oder dem Gutachter ohne ihr oder sein Wissen auf. Wenn sie oder er dies herausfindet, kann Anzeige gegen Sie erstattet werden. Da diese strafbare Handlung nicht von Amtes wegen verfolgt wird, werden Sie allerdings nur dann bestraft, wenn tatsächlich auch Anzeige gegen Sie erstattet wird.
Die Rechtsprechung ist jedoch komplex. So ist nicht ausgeschlossen, dass eine Aufzeichnung, die ohne Genehmigung gemacht wurde, in einem allfälligen späteren Verfahren nicht trotzdem als Beweismittel gegen die IV-Stelle verwendet werden kann. Tatsächlich kann ein rechtswidrig beschafftes Beweismittel im Rahmen eines Verfahrens verwendet werden, wenn das Gericht der Auffassung ist, dass das Interesse an der Wahrheit die Rechtsverletzung überwiegt und dass der Beweis nicht anders erlangt werden konnte. Das Gericht muss also in jedem konkreten Fall eine Interessenabwägung vornehmen. Folglich weiss man vorab nicht, wie darüber entschieden wird.
Sie sehen, die Antwort auf Ihre Frage ist komplex. Zusammenfassend würde ich sagen, dass es ratsam ist, immer die Zustimmung der Gutachterin oder des Gutachters einzuholen, bevor Sie ein Gespräch aufzeichnen. Wenn Sie wegen der Qualität des Gutachtens besorgt sind und mehr über das Vorgehen wissen möchten, rate ich Ihnen, sich an Ihre regionale Procap-Beratungsstelle zu wenden. Die Beraterinnen und Berater können Ihnen aufzeigen, wie ein Gutachten abläuft und wie Sie sich optimal darauf vorbereiten können. Procap Schweiz setzt sich für die Interessen ihrer Mitglieder auf politischer Ebene und insbesondere für Gesetzesrevisionen ein. Dazu gehören auch Fragen rund um die Gutachten.
Benötigen Sie weitere Informationen, können Sie sich an Ihr regionales Procap-Beratungszentrum wenden, das Sie bei einem Verfahren im Bereich Sozialversicherungen beraten und unterstützen kann.
Franziska Lüthy Advokatin