Hilflosenentschädigung für Minderjährige
Die Ergotherapeutin unseres Sohnes hat uns darauf hingewiesen, dass wir bei der IV eine Hilflosenentschädigung beantragen können. Was ist zu beachten?
Im Bereich der Invalidenversicherung gilt der Grundsatz, dass jede Person eine Anmeldung einzureichen hat, die eine Leistung beanspruchen will. Eine Anmeldung für die Hilflosenentschädigung ist selbst dann sinnvoll, wenn Kinder bereits bei der kantonalen IV-Stelle angemeldet sind, etwa aufgrund eines Geburtsgebrechens.
Hilflosigkeit und Hilflosenentschädigung
«Hilflos» im Sinne des Gesetzes ist, wer bei den alltäglichen Lebensverrichtungen (An- und Aus-
kleiden, Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen, Körperpflege, Verrichten der Notdurft, Fortbewegung/Kontaktpflege) regelmässig und erheblich auf die Hilfe von Dritten angewiesen ist. Weitere Kriterien sind dauernde Pflege
und persönliche Überwachung. Die Hilflosenentschädigung ist eine Geldleistung, welche die IV nach dem Unterstützungsbedarf (leichte, mittlere, schwere Hilflosigkeit) bemisst. Bei Minderjährigen wird die Hilflosenentschädigung jeweils tageweise als Pauschale abgerechnet. Sie kann von den Eltern frei eingesetzt werden.
Hilfe durch Dritte
Procap empfiehlt, frühzeitig eine Beratung in Anspruch zu nehmen, denn nebst den oben beschriebenen Fällen von direkten Hilfsleistungen durch Dritte gilt es auch, die indirekte Dritthilfe zu beachten. Diese liegt vor, wenn jemand eine alltägliche Lebensverrichtung zwar von den körperlichen Möglichkeiten her selber ausführen kann, dies aber nicht von sich aus, nur unvollständig oder nicht zur richtigen Zeit tut. Zur indirekten Dritthilfe gehören auch Aufforderungen oder Anleitungen.
Genaue Angaben sind hier entscheidend, bereiten aber oft Schwierigkeiten. Dennoch ist es notwendig, dass Sie sich im Alltag selbst beobachten und notieren, wo, wie oft, bei welcher Handlung und wie lange Sie jeweils Ihr Kind direkt und indirekt unterstützen. Der zeitliche Aufwand ist ausschlaggebend für den sogenannten Intensivpflegezuschlag. Diese Leistung wird zusätzlich zur Hilflosenentschädigung ausgerichtet, wenn der tägliche Hilfebedarf mindestens vier Stunden beträgt.
Anrechenbar ist jedoch nur der Mehrbedarf an Hilfe und persönlicher Überwachung im Vergleich zu Kindern ohne Behinderungen gleichen Alters. Diesen Mehrbedarf müssen Sie gegenüber der IV in Worte fassen und gegenüber einer Drittperson verständlich und sichtbar machen können.
Weiterreichendes Urteil des Bundesgerichts
Streitfälle lassen sich – auch bei guter Vorbereitung – nicht immer vermeiden. Hierbei geht es oft um die heikle Abgrenzung zwischen dauernder persönlicher Überwachung und indirekter Dritthilfe in Form von Anleitung und Kontrolle. Erfreulicherweise hat das Bundesgericht in einem Urteil vom 11. Dezember 2019 die Sichtweise von Procap bestätigt. Strittig war, ob ein 2011 geborenes Kind in der alltäglichen Lebensverrichtung «Aufstehen/Absitzen/Abliegen», zu der auch das «ins Bett gehen» und «das Bett verlassen» zählen, auf erhebliche Dritthilfe angewiesen ist. Die IV war der Ansicht, die Anwesenheit der Eltern bis zum Einschlafen sowie nachts gehöre zur persönlichen Überwachung. Das Bundesgericht folgte jedoch der Argumentation von Procap und stellte klar, dass Einschlafrituale (beim Kind bleiben, das Kind in den Arm nehmen, streicheln) sowie das regelmässige Aufstehen und Beruhigen nachts, das im konkreten Fall jeweils mehr als eine halbe Stunde dauerte und behinderungsbedingt täglich notwendig war, als indirekte Dritthilfe zählt. Mit diesem Entscheid besteht für das Kind nun neu ein Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung schweren Grades.
Benötigen Sie weitere Informationen, können Sie sich an Ihr regionales Procap-Beratungszentrum wenden, das Sie bei einem Verfahren im Bereich Sozialversicherungen beraten und unterstützen kann.
Karin Wüthrich Rechtsanwältin