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Vom Wert der Arbeit

Der Wert, den eine Gesellschaft der Arbeit zuschreibt, hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. Neben finanzieller Sicherheit und Struktur des Alltags ermöglicht Arbeit heute vielen Menschen, die eigene Identität zu schärfen und ihren Platz in der Welt zu finden.

Zeichnung von Menschen mit Behinderung, die sich auf einer Mauer bewegen, de einen Wegweiser umschliesst
Ein Rollstuhlfahrer bewegt sich, mit Kisten beladen, auf eine Treppe zu

Der Wert, den eine Gesellschaft der Arbeit zuschreibt, hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. Neben finanzieller Sicherheit und Struktur des Alltags ermöglicht Arbeit heute vielen Menschen, die eigene Identität zu schärfen und ihren Platz in der Welt zu finden. Menschen mit Behinderungen sind bei diesen Aspekten noch immer oft mit Barrieren konfrontiert und haben nicht die gleichen Chancen, eine Anstellung im ersten Arbeitsmarkt zu finden.

Text Miriam Hürlimann Illustration Jan Zablonier

Das Wort «Arbeit» stammt vom althochdeutschen Wort «arabeit» ab, welches zunächst die Bedeutung von «Mühsal», «Plage» oder «Not» hatte. Auch in den romanischen Sprachen haben die Worte «travail», «trabajo» oder «lavoro» ihre Wurzeln in der Bedeutung von harter, mühevoller Arbeit, die oft mit körperlicher Anstrengung und Leiden verbunden war. In der Zeitgeschichte veränderte sich die Wahrnehmung von Arbeit immer wieder. Für die griechischen Philosophen Sokrates und Platon war Arbeit von geringer Bedeutung. Sie sahen in der Musse – der «Schwester der Freiheit» – den höchsten Wert des Lebens. Diese Einstellung setzte sich in Europa bis in das von harten Lebensbedingungen geprägte Mittelalter fort. Mit dem Zerfall der feudalen Strukturen, welche die Pflichten und Rechte der verschiedenen Gesellschaftsgruppen klar regelten, änderte sich die Bedeutung der Arbeit grundlegend. Immer mehr Menschen boten ihre individuellen Fähigkeiten als Dienstleistungen an. Arbeit wurde nicht länger als ein rein notwendiges Übel betrachtet, sondern diente vermehrt dazu, die eigene Identität zu bilden.

Arbeit ist mehr als finanzielle Absicherung

In der modernen Gesellschaft wird Arbeit häufig als Instrument zur Sicherung des Lebensunterhalts betrachtet. Mit Arbeit erreichen wir materiellen Wohlstand, befriedigen unsere Bedürfnisse und erlangen soziale Anerkennung. Doch ist Arbeit nicht noch viel mehr? Arbeit bietet Struktur, Sinn und gesellschaftliche Teilhabe. Sie gibt den meisten Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden und nützlich zu sein. Willi Fillinger, freischaffender praktischer Philosoph, benennt es in einem Interview mit der Plattform «FAU – Fokus Arbeit Umfeld» wie folgt: «Arbeit ist nicht nur wichtig, weil wir einen grossen Teil unseres Lebens damit verbringen, sondern vor allem, weil wir durch unsere Arbeit unser Verhältnis zur Welt, zu den anderen Menschen und zu uns selbst bestimmen.» Es gehe also um grundsätzliche Fragen der menschlichen Existenz.

Durch Arbeit treten wir in einen Dialog mit der Welt, verändern diese und verändern auch uns selbst. Arbeit ist in diesem Verständnis nicht nur ein Mittel, um die eigene Existenz zu sichern, sondern eine Möglichkeit, unseren Platz in der Welt zu finden und zu gestalten. Auch der soziale Aspekt der Arbeit ist wichtig. Arbeit ist häufig eingebettet in ein Netzwerk von Beziehungen: Arbeit schafft Verbindungen zwischen Menschen, ermöglicht Austausch und Zusammenarbeit sowie gemeinschaftliches Handeln.

Eine Arbeit ausführen, die frei gewählt ist

Doch was passiert mit einem Menschen, wenn er nicht jene Arbeit ausführen kann, die er sich wünscht, oder ihm der Weg ins Arbeitsleben gar verwehrt wird? Wenn Arbeit unglücklich macht oder ganz fehlt, sie unsere Bedürfnisse und Wünsche nicht erfüllt, ist sie nicht die Quelle von Zufriedenheit, Anerkennung und Selbstverwirklichung, sondern oftmals die Ursache für Frustration, Erschöpfung und Entfremdung.

Letztlich besteht der Wert der Arbeit darin, dass sie dem Menschen ermöglicht, seine Fähigkeiten und Potenziale zu entwickeln und einzusetzen und in seinem Umfeld wirksam zu sein. Dies jedoch nur, wenn sie unter Bedingungen stattfindet, welche die Freiheit, Würde und Kreativität aller respektieren und den einzelnen Menschen nicht benachteiligen.

Bedingungen müssen verbessert werden

Gemäss Artikel 27 der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK) «haben Menschen mit Behinderungen das Recht auf die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selbst durch Arbeit zu verdienen. Sie können ihre Arbeit in einem offenen, integrativen und zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld wählen.» Bis dies jedoch Realität wird, muss noch einiges passieren.

So sind Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben häufig mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert. Auf dem ersten Arbeitsmarkt zeigt sich gemäss Schattenbericht von Inclusion Handicap bei Menschen mit Behinderungen eine deutlich niedrigere Erwerbstätigkeit sowie eine höhere Erwerbslosigkeit als bei Menschen ohne Behinderungen. Es könne kein inklusiver Arbeitsmarkt entstehen, solange Arbeitgeber*innen kaum angepasste Arbeitsstellen schaffen würden. Darüber hinaus werde in der Schweiz auch kein Unternehmen dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen anzustellen – laut Urteil des Schattenberichts ein Systemfehler. Damit Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen im ersten Arbeitsmarkt hätten, Karriere machen und die Stelle wechseln könnten, brauche es auch gemäss dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) Veränderungen: in den politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, in den Arbeitsprozessen und der Arbeitsumgebung der einzelnen Unternehmen sowie durch individuell angepasste Unterstützung für Betroffene.

Damit Menschen mit Behinderungen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, müssen also neben individuellen Integrationsmassnahmen auch strukturelle Massnahmen zur Beseitigung von baulichen und technischen Barrieren oder betrieblichen und organisatorischen Hürden ergriffen werden. Gemäss EBGB kann die berufliche Inklusion mit einem inklusiven Arbeitsumfeld erreicht werden. Zum Beispiel durch zugängliche Büros, barrierefreie Arbeitssoftware, ein sensibilisiertes Team, Engagement von Vorgesetzten usw. Kurz gesagt: Menschen mit Behinderungen hätten einen gleichberechtigten Zugang zur Arbeitswelt und könnten ihre Kompetenzen sinnvoll und gewinnbringend einsetzen.

Den Blickwinkel erweitern

Auch die Stiftung MyHandicap betont auf ihrer Plattform EnableMe: «Es gilt nicht mehr nur, die Person mit Behinderung fit zu machen für den Arbeitsmarkt, sondern umgekehrt das Arbeitsumfeld in Unternehmen fit zu machen für die Bedürfnisse von Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen.» Beratungs- und Unterstützungsangebote sowohl für Betroffene als auch für Führungskräfte, Ausbildner*innen und Mitarbeiter*innen seien verstärkt darauf auszurichten, sodass das Bewusstsein für Diversität in den Unternehmen gestärkt und die Inklusion gefördert werde.

Die Erfahrung von Procap Bildung und Sensibilisierung zeigt, dass sich Arbeitgeber*innen zwar grundsätzlich vorstellen können, eine Person mit einer Behinderung anzustellen. Allerdings bestehen zugleich viele Fragen und Unsicherheiten. Um diese Hürden bei Unternehmen abzubauen, bietet Procap das Modul «Arbeitsintegration von Menschen mit Behinderungen» an. Bei der Erarbeitung von praxisbezogenen Lösungen kann Procap zudem auf die Kompetenzen ihrer Rechts- und Bauberatung zugreifen.

Es ist zu hoffen, dass sich die Arbeitswelt in Richtung grössere Vielfalt weiterentwickelt und sich besser auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einstellt. Wenn Unternehmen erkennen, dass sie von einer diversen Belegschaft auf vielfältige Weise profitieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie neben baulich-technischen Rahmenbedingungen auch ihre Unternehmenskultur verändern, die nötige Unterstützung leisten und so mehr Inklusion ermöglichen.

Quellen:

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