«Bayasgalant» heisst glücklich auf Mongolisch

Uanzezeg Gantulga, im Rollstuhl sitzend, mit dem Mechaniker, der ihn angepasst hat
Es ist wichtig, dass ein Rollstuhl an den Körper eines Körper einer Person mit eingeschränkter Mobilität passt. Dies ermöglicht z. B. Druckstellen oder andere Ursachen für Schmerzen zu vermeiden.

Wenn alle an einem Strick ziehen, ist vieles möglich. Das Procap-Mitglied Valentin Bunjaku hat mit viel Eigeninitiative und in Zusammenarbeit mit einem Kinderhilfswerk in der Mongolei einer cerebral gelähmten Frau neue Türen geöffnet.

Text: Sonja Wenger, Fotos: Markus Schneeberger

Titelbild: Uanzezeg Gantulga (noch in ihrem alten Rollstuhl) und Valentin Bunjaku in der Werkstatt von Rollaid in Interlaken.

In Interlaken und vor dem Tor der Werkstatt des Vereins Rollaid, Hilfsmittel für Hilfsorganisationen im Ausland regnet es an diesem Novembertag in Strömen. Dennoch strahlt Uanzezeg Gantulga über das ganze Gesicht. Uanzezeg ist eine junge Frau von 28 Jahren aus der Mongolei. Sie hat eine schwere cerebrale Behinderung und ist für die täglichen Verrichtungen fast vollständig auf Hilfe angewiesen. Uanzezeg ist Teil einer Gruppe von zehn jungen Menschen der Organisation Bayasgalant Kinderhilfe Mongolei, die vergangenen Herbst für einige Wochen in der Schweiz weilte.

In Interlaken sitzt Uanzezeg nun in einem Rollstuhl, der zwar nicht neu, doch in Bezug auf Komfort Welten von dem entfernt ist, was sie bisher kannte. In der Werkstatt von Rollaid wird der Rollstuhl an diesem Tag an ihren Körper angepasst. Dies ist wichtig, damit es beispielsweise keine Druckstellen gibt. Zudem hat der Stuhl funktionierende Bremsen und ist leichter und wendiger als ihr altes Modell, was ihr und ihren Begleitpersonen die Mobilität stark erleichtern wird.

Mit Händen und Füssen verständigt

Möglich gemacht hat dies Valentin Bunjaku. Das Procap-Mitglied hatte 2019 im Rahmen eines Sozialpraktikums während seiner KV-Ausbildung ein Volontariat bei Bayasgalant absolviert. «Ich hatte zuvor im Schweizer Fernsehen einen Dokumentarfilm über Bayasgalant gesehen und wollte danach unbedingt einmal selbst einen Freiwilligeneinsatz dort machen», sagt Valentin im Gespräch mit Procap.

Er ist aufgrund einer äusserst seltenen und progressiven genetischen Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen. Dies sei für das Team von Bayasgalant aber kein Hindernis gewesen. «Sie haben beim Bewerbungsgespräch zwar kurz leer geschluckt, aber dann alles ihnen Mögliche in die Wege geleitet», erzählt er mit einem Lachen. Zusammen mit seiner Mutter reiste er danach nach Ulan Bator, in die Hauptstadt der Mongolei. Vor seinem Arbeitsantritt in der Tagesstätte lernte er beim Vermieter ihrer Unterkunft noch ein paar Brocken Mongolisch. «Doch hauptsächlich haben wir uns bei der Arbeit auf Englisch oder einfach mit Händen und Füssen und Zeichnungen verständigt.»

Bildung als Schlüssel zur Selbstbestimmung

Bayasgalant war 2003 von vier Schweizerinnen gegründet worden. Sie waren auf einer Reise durch die Mongolei zum einen von der Schönheit des dünn besiedelten Landes beeindruckt, andererseits aber auch erschüttert von der weit verbreiteten Armut vieler Familien. Aus den Anfängen mit einer Suppenküche für Kinder haben die Gründerinnen im Lauf der Jahre eine Organisation aufgebaut, die heute eine Tagesstätte, einen Kindergarten sowie diverse Hilfsangebote wie medizinische Versorgung, psychologische Betreuung und Schulangebote umfasst. Mit der Hilfe von 20 Mitarbeiter*innen betreut Bayasgalant täglich rund 200 Kinder und Jugendliche.

Dank eines speziellen Ausbildungsfonds kann Bayasgalant zudem seit zwölf Jahren den Jugendlichen ein Studium an der Universität oder an einer Berufsschule ermöglichen. Sie werden dabei von den Sozialarbeiterinnen der Organisation betreut und haben die Möglichkeit, während der Ferien in bezahlten Jobs in der Tagesstätte mitzuarbeiten.

Unterstützt wird das Team von Bayasgalant immer wieder auch von Freiwilligen wie Valentin, die sich beispielsweise bei der Betreuung der Kinder engagieren oder sie in Englisch unterrichten. «Da aber gerade Sommerferien waren und kein Unterricht stattfand, ging es bei meinem Einsatz vor allem um das Soziale und Zwischenmenschliche. Ich habe mit den Kindern viel gebastelt oder Fussball gespielt. Dass ich im Rollstuhl sitze, war dabei überhaupt kein Thema.»

Gruppenbild der Delegation aus der Mongolei
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens von Bayasgalant reiste eine kleine Delegation in die Schweiz. In der hinteren Reihe zwei der Gründerinnen: Martina Zürcher (4. v. l.) und Christine Jäggi (5. v. l.) Ganz rechts Zayanyam Okhinoo, Leiterin von Bayasgalant Kinderhilfe Mongolei.

Mit Crowdfunding zu mehr Mobilität

Bei seinem Einsatz freundete sich Valentin auch mit Uanzezeg an und blieb nach seiner Rückkehr in die Schweiz mit ihr und anderen Personen von Bayasgalant in Kontakt. «Das ist nicht ganz leicht wegen der Sprachbarriere, aber mit der Möglichkeit von Online-Übersetzungen und Emojis kommunizieren wir ab und zu per Whatsapp.» Als bekannt wurde, dass Uanzezeg anlässlich des 20-jährigen Bestehens mit einer Gruppe von Bayasgalant in die Schweiz reisen würde, reifte in Valentin eine Idee. Die Mongolei ist kein barrierefreies Land, und Uanzezeg war im Alltag oft sehr eingeschränkt gewesen. Ein besserer Rollstuhl könnte hier bereits vieles verbessern.

Dass sich vieles bewegen lässt, wenn man mit anderen zusammenarbeitet, hat Valentin bereits bei einem anderen Projekt erfahren. Auf Wemakeit, einer Plattform für Crowdfunding, war es ihm gelungen, den fehlenden Betrag für den behindertengerechten Umbau seines Autos zusammenzubekommen. Um für Uanzezeg einen Occasionrollstuhl zu organisieren, nahm Valentin deshalb mit dem Verein Rollaid Kontakt auf. Der Verein sammelt gebrauchte Hilfsmittel, bereitet sie in seiner Werkstatt im Rahmen eines Programms für die berufliche und soziale Integration von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf und gibt sie kostenlos an international tätige Hilfsorganisationen ab. Rollaid erklärte sich auf Valentins Anfrage bereit, einen Rollstuhl zu spenden und diesen Uanzezegs Bedürfnissen anzupassen. Letzten Herbst war es dann so weit.

Sich nicht behindern lassen

Der heute 23-Jährige ist ein umtriebiger junger Mann. Sein Motto lautet: «Man hat als Person eine Krankheit oder eine Behinderung, aber man ist sie nicht.» Neben seinen beiden Teilzeitanstellungen im administrativen Bereich in Bern ist er im regionalen Jugendparlament und an der Volkshochschule aktiv und verfolgt auch sonst verschiedene Projekte. «Meine ganze Familie ist sehr sozial ausgerichtet, und auch ich möchte mich für Dinge einsetzen, die anderen Menschen zugutekommen», sagt Valentin. Seine Mutter ist Sozialarbeiterin, die ältere Schwester studiert Soziale Arbeit. Er selbst möchte in der medizinischen Praxiskoordination tätig sein, da «ich in dieser Funktion mehr direkten Patientenkontakt hätte als heute». Und irgendwann möchte er Medizin und Soziales studieren, doch das sei noch Zukunftsmusik. Genauso wie ein Besuch bei seinen Freund*innen in der Mongolei.

Die Begegnung mit Valentin hat auch Uanzezeg inspiriert. Bei einem zweiten Treffen kurz vor der Heimreise der Gruppe erzählt sie mithilfe ihrer Begleiterin Zayanyam Okhinoo, der Leiterin von Bayasgalant in der Mongolei, sie wolle nun «endlich Lesen und Schreiben lernen». Ausserdem sei sie «bayasgalant», also glücklich, dass ihr dank dem angepassten Rollstuhl «der Hintern nicht mehr wehtue», sagt sie mit ansteckendem Lachen. Dank Valentin habe sie realisiert, dass man auch mit einer Behinderung aktiv sein könne und nicht nur allein zu Hause sein müsse. Mit ihrem neuen Rollstuhl sei sie nun viel mobiler und könne vielleicht bei Bayasgalant irgendwann auch eine Aufgabe übernehmen.

Bayasgalant – Hilfe zur Selbsthilfe

Das Ziel von Bayasgalant Kinderhilfe Mongolei ist es, mongolische Kinder und ihre Familien, die unter der Armutsgrenze leben, zu unterstützen. Die Organisation baut dabei auf die Grundsätze Prävention, Bildung und Hilfe zur Selbsthilfe. Die Kinder werden dem Alter entsprechend im Kindergarten oder in der Tagesstätte betreut. Die älteren Jugendlichen erhalten ihrem Interesse entsprechend eine weiterführende Ausbildung. Derzeit werden täglich rund 200 Kinder mit Mahlzeiten versorgt und betreut. Dazu gehören nebst der Aufgabenhilfe, der medizinischen und psychologischen Betreuung auch der Einbezug der gesamten Familiensituation sowie die Betreuung von Kindern mit speziellen Bedürfnissen.

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