Die Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ ist von der SVP lanciert worden. Die Initiative zielt auf die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ab. Sie ist keine „Selbstbestimmungsinitiative“, sondern eine „Anti-Menschenrechtsinitiative“. Der Initiativtext ist irreführend und voller Widersprüche.
Die Initiative verlangt, dass die Bestimmungen der Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht Vorrang hat. Völkerrechtliche Bestimmungen, die der Verfassung widersprechen und die nicht dem Referendum unterstanden, seien nicht mehr anzuwenden. Bund und Kantone sollen verpflichtet werden, die völkerrechtlichen Verträge anzupassen oder zu kündigen, falls sie der Verfassung widersprechen.
Eine Annahme der Initiative würde dazu führen, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen müsste. Die EMRK bietet Schutz vor Missachtung der Grundrechte, namentlich auch für Menschen mit Behinderungen. Weil die Initianten der SVP mit einigen wenigen, die Schweiz betreffenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nicht einverstanden sind, setzen sie den Menschenrechtsschutz in der Schweiz aufs Spiel.
Mit der Kündigung der EMRK wäre auch der Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verwehrt. In der Schweiz kann heute jede Person eine Beschwerde beim EGMR in Strassburg einreichen, wenn sie der Ansicht ist, ihre Menschenrechte seien durch die Schweiz verletzt und von den Schweizer Gerichten nicht geschützt worden. Stellt der EGMR eine Menschenrechtsverletzung fest, muss sein Urteil durch die Schweiz angepasst werden. Das passiert jedoch nur in 3 von 200 Fällen. Das bedeutet: Die Schweiz ist gut auf Kurs in Sachen Menschenrechte, aber nicht perfekt. Dank Urteilen des EGMR werden zum Teil Lücken in unseren Gesetzen oder Fehler in der Rechtsprechung sichtbar, die aufgrund eines Urteiles korrigiert werden können.
Dies schützt auch Menschen mit Behinderungen. Procap hatte beispielsweise den Fall einer Frau an den EGMR gezogen, die nach der Geburt ihrer Kinder ihre halbe IV-Rente verlor. Die IV ging davon aus, dass Mütter so oder so ihr Pensum reduzieren würden (sog. „gemischte Methode“). Weil der EGMR dies als Diskriminierung beurteilte, werden nun Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit zu Hause gleich stark gewichtet. Das Urteil führte dazu, dass Teilzeitarbeitende seit anfangs 2018 nun endlich faire IV-Renten erhalten.
Was bisher geschah und Fahrplan
Sowohl der Bundesrat als auch der Ständerat und der Nationalrat lehnen die Initiative ab. Die Anträge für einen Gegenentwurf fanden ebenfalls keine Mehrheit. Die Volksabstimmung findet am 25. November 2018 statt.
NGO-Zusammenschluss „Schutzfaktor M“
Procap ist Partnerorganisation von „Schutzfaktor M“, einem Zusammenschluss von über 100 Organisationen aus der schweizerischen Zivilgesellschaft. Schutzfaktor M hat eine Informationskampagne lanciert, die sich politisch und gesellschaftlich für den Erhalt des Menschenrechtsschutzes in der Schweiz engagiert. Ziel der Kampagne ist es, die Annahme der Volksinitiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ zu verhindern.
UNO-Behindertenrechtskonvention
Die Initiative würde die UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) gemäss Wortlaut nicht tangieren, da ihre Ratifikation dem Referendum unterstand. Die Initiative lässt bei der Umsetzungsgesetzgebung jedoch viel Spielraum, sodass sie auch in Bezug auf die UNO-BRK ein Risiko darstellt. Der Bundesrat schrieb in seiner Botschaft, die Rangordnung des Schweizer Rechts und der völkerrechtlichen Verträge sei schwer durchschaubar.
Fazit
Die Initiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ gefährdet grosse Errungenschaften des Völkerrechts. Eine Annahme würde den Schutz vor Menschenrechten gefährden – auch diejenigen von Menschen mit Behinderungen. Procap lehnt deshalb diese gefährliche Initiative entschieden ab.